„Die Schweiz ist politisch und wirtschaftlich reformbedürftig“, sagt Edwin Somm, der selber einige tief greifende Reformen mitgeprägt hat. Der ehemalige CEO von ABB Schweiz hat die Ausbildung in seinem Unternehmen und in der Maschinenindustrie wesentlich reformiert.
Als Leiter eines Weltunternehmens hat Edwin Somm die Bedeutung der Berufsbildung hoch eingestuft und machte sie zur Chefsache: „Die Ausbildung ist eine strategische Investition – und kein Kostenpunkt.“ Davon ist Edwin Somm rückblickend auf seine berufliche Laufbahn noch immer überzeugt: „Es ist einfach, kurzfristig Erfolge auszuweisen, wenn man bei der Ausbildung und der Forschung und Entwicklung die Ausgaben kürzt.“
Seine Überzeugung reifte im Zuge seiner internationalen Erfahrung in seinem Industrieunternehmen, in dem er jahrelang federführend in der Forschung und Entwicklung tätig war. In seinen verantwortungsvollen Karrierestationen stellte er eines immer wieder fest: „Schweizer Unternehmen können nur mit hervorragend ausgebildeten Fachkräften wettbewerbsfähig bleiben. Wir haben nur unsere Köpfe und unsere Hände. Und diese ‚Rohstoffe’ müssen wir gezielt ‚veredeln’. Dazu braucht es Reformen – von der Berufslehre bis zur Hochschulausbildung.“
Edwin Somm verfolgt die Umsetzung von Reformen im aktiven Ruhestand als frei schaffender Berater, nachdem er nach seinem Rückzug aus der operativen Geschäftstätigkeit auch bedeutende Verwaltungsratsmandate bewusst abgegeben hat. Er spricht Klartext: „Wirtschaft und Politik haben einiges erreicht. Aber es ist noch nicht genug.“ Er sieht gerade in konjunkturell guten Phasen den optimalen Zeitpunkt, um Reformen umzusetzen, weil dann Menschen sozialverträglich in anderen Funktionen und Firmen eingesetzt werden können.
Als oberster Chef seines zeitweise krisengeschüttelten Unternehmens musste Edwin Somm seine klare Linie hart verfechten: „Ich weigerte mich, Lehrstellen abzubauen.“ Auch in schlechten Zeiten beschäftigte deshalb das Unternehmen immer rund 1000 Auszubildende. Edwin Somm ist überzeugt, dass die Aufwendungen für die Ausbildung aller Stufen bei gleichem Resultat sogar konstant gehalten werden könnten, sofern die Produktivität gewaltig gesteigert wird, was durchaus möglich sei. Dies sei ein Reformpaket, das noch gestartet werden müsse.
In der Ausbildung von Lernenden wurden schon einige Reformen umgesetzt. Mit der Schaffung von Lernzentren förderte Somm ein Konzept, das den Anforderungen des Wettbewerbs gerecht wurde. In der praxisnahen Ausbildung lernen die Lernenden anhand echter Aufträge, sich in einem realistischen Geschäftsumfeld zu bewegen. Sie wickeln Kundenaufträge ab – von der Offerte über die Produktion bis zur Rechnungsstellung. Lernende lernen, von Anfang an Verantwortung für ihr Handeln und die ihnen anvertrauten Mittel zu übernehmen sowie in interdisziplinären Gruppen zu arbeiten. Dies bezeichnet Somm als besonders wichtig und als Erfolgsrezept.
Die Lernzentren sind bei ABB nicht mehr aus dem Unternehmen wegzudenken. Sie haben wesentliche Kosteneinsparungen und einen deutlich besseren Ausbildungsstand ermöglicht. Deshalb haben sich auch schon viele andere Firmen zur Gründung von Lernzentren zusammengeschlossen. Aber Edwin Somm ist noch nicht zufrieden: „Leider wird der Berufslehre noch nicht überall die Bedeutung beigemessen, die sie verdient hätte.“ Er bemängelt, dass viele Unternehmen ausserhalb der Maschinenindustrie viel zu wenig Ausbildungsplätze anböten beziehungsweise qualifizierte Ausbildner zur Verfügung stellten. Die Idee von Lernzentren müsse noch weiter vorangetrieben werden und auf alle Branchen ausgedehnt werden.
Als erster Präsident des Branchenverbandes Swissmem der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie machte sich Somm ebenfalls stark für die Neuorientierung der Berufsbildung in der gesamten Branche. Daraus entwickelten die professionellen Projektteams das mittlerweile erfolgreich umgesetzte Konzept der industriellen Berufsbilder. Seine charismatische Ausstrahlung, seine Motivationskraft und seine spürbare Begeisterung für die Berufsbildung verhalfen dieser Reform in politischen und wirtschaftlichen Gremien zum Durchbruch.
Die landläufige Meinung, dass möglichst viele junge Menschen eine Universitäts- Ausbildung abschliessen müssten, sei eine Fehlentwicklung: „Dadurch ergibt sich ein typisches Mittelmass bei den Hochschulabsolventen und andererseits ein Verlust an Qualität und Können bei den handwerklichen Berufen.“ Deshalb begrüsst er auch Zulassungsprüfungen zu Universitäten. Genau wie bei den Lernzentren fordert das ehemalige Mitglied des strategisch verantwortlichen Rates der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich auch eine Bündelung des universitären Angebots: „Wir verzetteln die Kräfte – sieben Hochschulen reichen in der Schweiz.“ Zudem ist er der Ansicht, dass solche Reformen mit der Schaffung eines Departementes für Ausbildung und Forschung im Bundesrat vorangetrieben werden können.
Auch wenn Somm selber aufgrund seiner Begabungen Maschineningenieur wurde, entwickelte er, aus einer Gewerbe-Familie stammend, „Verständnis für Menschen, die ihren Lebensunterhalt hart verdienen müssen“. Es sei heute wichtiger denn je, dass Spitzenmanager ihre Mitarbeitenden kennen und echte Wertschätzung zeigten. Er beklagt die gewaltige Schere, die sich zwischen „Fussvolk“ und „Teppichetage“ öffne: „Gewisse Herren sammeln Geld für null Leistung und haben die Relation zur Basis komplett verloren.“ Es sei aus sozialpolitischer und unternehmerischer Sicht grundsätzlich falsch, Erfolge von Unternehmen ausschliesslich den Firmenleitungen zuzuschreiben, denn: „Die Mitarbeitenden sind das wichtigste Kapital des Unternehmens.“