Rolf Dubs

Er ist Pädagoge durch und durch – aber er hat weit mehr bewirkt, als man landläufig von einem Lehrer erwarten würde. Vom Handelsschüler bis zum Notenbankchef und dem Bundesrat – schon viele Menschen haben bei ihm „die Schulbank gedrückt“. Seine Lehrbücher gehören in der Volks- und Betriebswirtschaftslehre zu den Klassikern. Und auch im Alter ist er weltweit noch als Wirtschaftsberater gefragt: Rolf Dubs, der erimitierte St.Galler Wirtschaftsprofessor, der die Berufsbildung in seinen vielfältigen Funktionen fördert, wo er nur kann.

Warum eigentlich setzt sich ein „studierter“ Mann wie Rolf Dubs mit seiner ganzen Schaffenskraft für die duale Berufsbildung ein? Er erklärt: „Als ich nach meiner Tätigkeit an der Harvard University in Amerika in die Schweiz zurückkehrte, hielt ich beim Verband der Berufsschullehrer einen Vortrag über die Bedeutung von Lernzielen. Nach dem Vortrag kam ein Verantwortlicher des zuständigen Bundesamtes auf mich zu und berichtete mir von grossen Schwierigkeiten beim Aufbau allgemeiner Lehrpläne an Berufsschulen. Er wollte wissen, ob ich mit meinem Institut für Wirtschaftspädagogik an der Universität St.Gallen helfen könnte, die Situation in den Griff zu bekommen. Also machten wir uns an die Arbeit.“ Die Herausforderung sei gross gewesen: „Seinerzeit hatte sich in der Schweiz noch niemand wissenschaftlich mit der Berufsbildung beschäftigt.“ Die Arbeit hatte sich offensichtlich gelohnt, weil es gelang, für das Berufsbildungssystem viele Anregungen zu geben.

Rolf Dubs wirft ein, dass sich das Berufsbildungssystem noch stark entfalten müsse, denn: „Moderne Ausbildungsformen sind in unserem dualen System nicht mehr möglich.“ Er wäre seiner Überzeugung nicht treu, wenn er nicht schon vorausschauend etwas im Kopf hätte: Er schlägt einerseits vor, dass sich in einer zweiten Phase der beruflichen Grundbildung Berufsschule und Lehrbetriebe die Zeiten von Theorie und Praxis vermehrt in Blöcke aufteilen. Damit müsste der Unterricht nicht so stark zerstückelt unter der Woche erteilt werden. Die Blöcke wären gewissermassen eine Ergänzung oder Teilablösung des vertrauten schulischen Teils – ein dritter Teil im Berufsbildungssystem. Rolf Dubs spricht deshalb vom „trialen System“. Andererseits schlägt er vor, dass die Lernenden in Absprache mit dem Betrieb eine bestimmte Anzahl Lernblöcke auswählen können, die zum Ziel haben, dass die angehenden Berufsleute ihr Wissen vertiefen, sich spezialisieren und wo nötig  einen Nachholbedarf abdecken können. Diese Lerninhalte sollen bereits so konzipiert sein, dass die Weiterbildung optimal darauf abgestimmt und ähnlich aufgebaut werden kann.

Das neue Schweizer Berufsbildungsgesetz ermöglicht dank seiner offenen Formulierung Umsetzung der Idee von Rolf Dubs. Allerdings haben gewisse Berufsverbände oder kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) Bedenken, wenn Lehrlinge längere Zeit abwesend sind. Rolf Dubs stellt fest: „Lehrmeister sagen, das gehe nicht. Leider zeigt sich eine nicht untypische Abwehrreaktion: Sobald etwas von der Routine abweicht, wehrt man sich.“ Er freut sich aber, dass gerade Berufsgattungen, die vor immensen Herausforderungen stehen, offen sind für ein solch neues System.

Zwei Gefahren sieht der Wirtschaftsfachmann in der Schweiz. Einerseits drückten sich immer mehr Unternehmen davor, Lehrlinge auszubilden: „Damit stirbt das System.“ Andererseits gehe eine Stärke verloren, wenn der „Uni-Trend“ weiter anhalte. Man müsse endlich von der Prestigefrage wegkommen, ein akademischer Abschluss sei wertvoller. Weder das eine noch das andere System sei generell dem anderen überlegen. Indes: Eine Umfrage habe ergeben, dass im Allgemeinen Lehrlinge zufriedener seien als Gymnasiasten –  und: „Ich hoffe auf die Zeit, in der man zu viele Akademiker hat und es so weit kommt wie in Amerika, wo unter Umständen ein ganz hoch qualifizierter Liftmonteur mehr verdient als ein Durchschnittsprofessor.“

Dubs gibt in seiner reflektierenden und differenzierten Art zu bedenken, dass nicht alles, was früher entwickelt worden ist, über den Haufen geworfen werden muss: „Es ist nicht einfach alles alt und gestrig.“ Heute bestehe die Tendenz, dass auch in der Berufsbildung immer mehr Schlagworte um sich greifen, in denen bewährte Sachen untergingen. Er nennt ein wichtiges Beispiel beim Namen: „Die Welle der Interdisziplinarität und der Module widerspricht in ihrer absoluten Form meiner inneren Überzeugung zutiefst.“

Weil die Schweiz weiterhin eine starke KMU-Struktur haben werde, sei es wichtig, im Rahmen eines zukunftsorientierten Berufsbildungssystems gute Berufsfachleute zu fördern. Die Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Bildungsangeboten sei wichtig, damit berufliche Entwicklungsmöglichkeiten allen im gleichen Mass offen stehen. Dubs wehrt sich gegen formale Restriktionen, findet aber faire, nicht schikanöse Zulassungsprüfungen sinnvoll: „Fachhochschulen bieten jungen Menschen mit Lehre tolle Perspektiven. Wo die Voraussetzungen gegeben sind, dass jemand eine Ausbildung antreten kann, soll das ohne Vorbehalte möglich sein – unabhängig vom Alter oder vom früheren Bildungsweg.“ Diese Überzeugung brachte Rolf Dubs unlängst als Experte vehement bei der Erarbeitung von Passerellenlösungen ein. Er liess seine Fachkompetenz, aber auch seine methodisch-didaktischen und die menschlichen Qualitäten in Berufsbildungsfragen immer wieder einfliessen und meint mit einem für ihn typischen Lächeln auf den Stockzähnen: „Vor allem die Erarbeitung des Berufsbildungsgesetzes war ein phänomenaler Weg. Die Juristen durften erst ganz am Schluss, als die pädagogischen Ideen erarbeitet waren, den Gesetzestext ausformulieren. Den ganzen juristisch-politischen Zauber gab es nicht.“ Die Gesetze böten Verbänden und Kantonen viele Freiräume für fortschrittliche Lösungen. Eine Warnung deponiert der vehemente Kämpfer für Fachhochschulen aber gerade an die Adresse dieser Institute: „Es wäre eine Katastrophe, wenn Fachhochschulen ihr wertvolles Profil verlieren und die Universitäten nachahmen wollten.“