Josef Braun

Fachhochschulen sind weitgehend auf Lehrabsolventen mit Berufsmatura angewiesen. Wenn die Zahl der Lernenden zurückgeht, schwinden auch die Bewerbungen um Studienplätze. Diesen Umstand bekam Josef Braun, Vaduz (Liechtenstein), als Direktor der Interstaatlichen Hochschule für Technik Buchs (NTB) zu spüren. Das bewegte ihn, nach neuen Lösungen zu suchen.

Das duale Berufsbildungssystem spielte in der Laufbahn von Josef Braun eine zentrale Rolle. Angefangen hat es beim Berufsberater, der ihm eine Lehre als Physiklaborant empfahl. Diese Ausbildung weckte in ihm das Interesse an Verfahren und den Glauben an seine Berufschancen. Nach dem Lehrabschluss und anschliessender zweijähriger Laborpraxis wagte er sich – ohne Matura – an das Studium für Physikalische Technik, das er erfolgreich abschloss. Idealisieren mag er nicht: „Ich hatte eine harte Lehrzeit von vier Jahren,  und der Sprung in das vierjährige Studium war ausserordentlich schwer. Trotzdem würde ich heute allen, die an Technik interessiert sind, empfehlen, eine Berufslehre zu machen. Anschliessend kann man sich überlegen, ob nicht doch ein weiterer Schritt möglich ist. Eine ordentliche Berufsausbildung ist die beste Basis für ein Studium.“ Absolventen einer Berufslehre mit anschliessender höherer Fachhochschulausbildung seien  gegenüber akademisch ausgebildeten Berufsleuten gleichwertig: „Sie haben nur eine anders geartete Ausbildung erhalten.“ Beide Ausbildungen böten Chancen im späteren Berufsleben.

Braun ist überzeugt: „In ein paar Jahren wird es möglich sein, dass auch Fachhochschulabsolventen ihr Doktorat erreichen werden.“ Was heute aber als Zukunftsmusik erscheint, hat seinen Hintergrund in den herausfordernden Situationen, die Braun am NTB zu meistern hatte. Nach einigen Jahren Tätigkeit in Forschung und Entwicklung und später in der Geschäftsführung eines international bedeutenden Unternehmens wurde er als Direktor an das NTB berufen. In dieser Funktion war es seine Zielsetzung, die Zukunft der künftigen Fachhochschule neu zu gestalten und die Ausbildungsstätte in der Region Rheintal zu festigen. Seine Erfahrung und sein Praxis-Wissen erwiesen sich dafür als besonders wegweisend: Es war von Beginn weg seine Auffassung, dass die damals noch tiefe Kluft zwischen Ausbildung und deren Anwendung in der Wirtschaft dringend geschlossen werden musste.

Josef Brauns Ansichten stiessen vorerst bei den meisten NTB-Dozenten auf wenig Gegenliebe: „Kontakte mit Wirtschaftsvertretern wurden äusserst kritisch betrachtet. Man sprach vom Verkauf der Ausbildung an die Wirtschaft.“ Doch die sinkenden Studieneintritte hätten es mit sich gebracht, dass unter anderem auch die Studienangebote hinterfragt werden mussten. „Interdisziplinarität“ sei plötzlich zum Schlagwort und die Verknüpfung der Fachgebiete sei notwendig geworden: „Das Lehrangebot wurde je länger je mehr hinterfragt.“ Die Herausforderung bestand laut Braun darin, angewandte Technologien in einen neuen Stundenplan einzuarbeiten: „Technologietransfer war angesagt. Damit verbunden war der Wunsch, dass sich die Schule zu einem schönen Teil selber finanzieren kann, indem sie der Wirtschaft Dienstleistungen erbringt. So entstand aus den vorhandenen Studiengängen das interdisziplinäre Studienangebot „Systemtechnik“ mit mehreren Fachvertiefungen. Vorbild der Konzeption war unter anderem das duale Berufsbildungssystem.“ Indes: „Es war auch schwierig, die Wirtschaftsvertreter davon zu überzeugen, dass wir einen intensiven Austausch brauchen, um den Technologietransfer zu fördern.“ Seine Erfahrungen auf beiden Seiten verhalfen der Sache letztlich zum Durchbruch: Das Angebot fand hohe Anerkennung in Politik und Wirtschaft – im In- und Ausland. Braun ist deshalb auch stolz auf dieses Studienangebot. Es sei nur möglich geworden, weil ihn sein Team bei der Umsetzung nach anfänglicher Skepsis äusserst motiviert und kreativ unterstützt habe.

Die Entwicklung dürfe nicht aufhören, sagt Braun: „Wir müssen mehr Frauen für technische Berufe gewinnen, und Klein- und Mittelbetriebe sollten sich vermehrt für die Ausbildung von Lernenden zusammenschliessen. Zeiten mit Knappheit an Lernenden in der Vergangenheit erinnern uns daran, dass es immer wieder Situationen geben kann, in denen Unternehmen nur schwerlich zu den notwendigen Fachkräften kommen.“ Diese Problematik sieht er insbesondere bei den technischen Berufen: „Die Technik wird in den Primar-, Real- und Sekundarschulen vielleicht unbewusst vernachlässigt. Dienstleistungsberufe sind an der Schule eher bekannt. Junge Menschen sollten deshalb vermehrt Einblick in technische Berufe erhalten. Die positiven Seiten der Technik sollten konkret aufgezeigt werden, denn mit ‚Schnuppern’ allein ist es nicht getan.“ Nach Braun sollte es ein Pflichtfach für Schüler und Lehrer geben, in dem während der Unterrichtsstunden Betriebe besucht werden, denn: „Der Umgang mit Computern allein reicht nicht aus, um das Verständnis für technische Anwendungen zu fördern.“ Der diplomierte Physik-Ingenieur gibt ebenso zu bedenken: „Wir brauchen nicht nur Techniker und Ingenieure, wir brauchen auch gute Meister. Schreibtischtäter alleine genügen nicht.“